Serienabmahnung von Unternehmen – einmalige Anwaltskosten

Eine Anwaltskanzlei hatte zahlreiche Medienunternehmen abgemahnt wegen rechtswidrigen Vertriebs von DVDs, die allesamt von einem Tonträgerunternehmen hergestellt worden waren. Sodann beanspruchte die Kanzlei Anwaltskosten für jede einzelne ihrer gleichlautenden Abmahnschreiben. Eine vermeintlich lukrative und nicht einmal unübliche Praxis, der der BGH jedoch nun einen Riegel vorgeschoben hat.

 

Abmahnungen à la carte

Mindestens dreißig, wahrscheinlich sogar eine erheblich höhere Zahl von Abmahnungen hatte die in Hamburg ansässige Kanzlei in Serie versandt. Stan­dardisierte Abmahn­schrei­ben. Stets wegen rechtswidrigen Vertriebs von DVDs mit den Film­wer­ken „Der Novembermann“, „Als der Fremde kam“, „Meine fremde Tochter“ und „Nacht ohne Mor­gen“, an denen der im Juni 2016 verstorbene Schauspieler Götz Geor­ge mitgewirkt hatte.

Die Adressen der Medienunternehmen wurden der Anwaltskanzlei zuvor „ser­viert“ durch Aus­künf­te. Und zwar durch

  1. den Tonträgerhersteller, der ja sämtliche DVDs her­ge­stellt hatte (= Adressen von den belieferten Medien­unter­nehmen), und

  2. Groß und Zwischenhändler (= Adressen von Unter­neh­men des Einzelhandels etc., die die DVDs zum Verkauf an Endkunden erhalten hatten).

Jede einzelne Abmahnung, bezogen auf einen rechtswidrigen Vertrieb der o.a. vier DVD-Titel, war mit einer „Kostenberechnung“ von € 1.642,00 (netto) versehen. Abmahnung als Ge­schäfts­modell: wenig Aufwand, viel Geld.

Allerdings: Gemäß § 15 Abs.2 Rechts­an­walts­vergütungsgesetz (RVG) kann der Rechtsanwalt die Ge­büh­ren in der­sel­ben Angelegenheit nur einmal fordern. Einmal! Handelte es sich bei den parallelen Abmahn­ungen also um einzelne Angelegenheiten, so dass jeweils Anwalts­kos­ten zu for­dern waren?

Zwei Ansichten, drei Instanzen

Zwei Hamburger Amtsgerichte bejahten diese Frage (Urteile vom 2. August 2017, 31c C 45/17, und vom 28. August 2017, 4 C 208/17).

Durch die mit dem Verfasser dieses Artikel als Prozess­ver­treter eingelegte Berufung wurden die amtsgerichtlichen Urteile indes aufgehoben. Das Landgericht Hamburg entschied, dass es sich bei den zahlreichen parallelen Abmahnungen um eine einzige Angelegenheit handelte, für die auch nur ein einziges Mal Anwaltskosten zu fordern waren (Urteile vom 3. August 2018, 308 S 5/17 und 308 S 6/17).

Dem schloss sich der BGH nunmehr mit zwei Urteilen vom 6. Juni 2019 an (I ZR 150/18 – „Der Novembermann“, und I ZR 151/18).

Vorangegangene Rechtsprechung des BGH

Bereits in vorangegangenen Entscheidungen wurde festgelegt, dass eine Angelegenheit i.S.d. anwaltlichen Gebührenrechts vorliegt, wenn die anwaltlichen Leis­tungen

  1. sowohl inhaltlich als auch in der Zielsetzung so weitgehend übereinstimmen, dass von einem einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit gesprochen werden kann und

  2. zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht.

Ein einheitlicher Rahmen kann auch gegeben sein, wenn der Anwalt verschiedene, in ihren Vor­aus­set­zungen voneinander abweichende Anspruchsgrundlagen zu prüfen oder mehrere ge­trenn­te Prüfungsaufgaben zu erfüllen hat. Es reicht, wenn die verschiedenen Gegenstände in dem Sinn einheitlich vom Anwalt bearbeitet werden können, dass sie verfahrensrechtlich zu­sam­men­ge­fasst oder in einem einheitlichen Vorgehen geltend gemacht werden können, z.B. in einem ein­heit­lichen Abmahnschreiben.

Ein innerer Zusammenhang zwischen den anwaltlichen Leistungen ist bereits zu bejahen, wenn die verschiedenen Gegenstände bei objektiver Betrachtung unter Berücksichtigung der man­dats­gegenständlichen Ziele zusammengehören.

Hinreichende inhaltliche und zeitliche Verbindung

Maßgeblich ist eine hinreichende inhaltlich und zeitliche Verbindung der Abmahnungen, die gegenüber den ver­schie­denen Unternehmen ausgesprochen wurden.

Hier sind die Abmahnungen inhaltlich (= thematisch) dadurch verbunden, dass die vier streit­gegen­ständlichen DVDs aus derselben Quelle stammen. Diese waren ja von einem Ton­trä­ger­un­ter­neh­men herstellt (Quelle) und ausgeliefert worden an Unternehmen seines Ver­triebs­netz­werks.

Eine hinreichende zeitliche Verbindung liegt nach den Ausführungen des BGH jedenfalls vor, wenn die Abmahnungen innerhalb eines Zeitraums weniger Wochen erfolgt sind. Hierbei bezieht sich das Gericht auf die Abmahnungen „im Dezember 2016 und Januar 2017“, ein Zeitraum von zwei Monaten erfüllt diese Voraussetzung also ohne Weiteres.

Einheitliche Angelegenheit auch bei späterer Auftragsergänzung oder -erweiterung

Eine Angelegenheit kann auch vorliegen, wenn der anwaltliche Auftrag vor dessen Beendigung später ergänzt wird. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalles. Hierzu gehören auch die Fälle, in denen der Auftrag nach und nach (sukzessive) erweitert wird. So war es vorliegend, in­dem die Anwaltskanzlei zunächst mit der Suche nach Tätern und Tathandlungen rund um den rechts­widrigen Vertrieb beauftragt worden war und jeweils nach Darlegung der (neuen) Unter­su­chungs­er­gebnisse über die Vornahme einer (wei­teren) Abmahnung entschieden wurde. Auch wenn die Parallelabmahnungen – wie hier – in mehreren „Abmahnwellen“ jeweils nach den erteilten Auskünften erfolgt sind, kann es sich gebührenrechtlich um eine Angelegenheit han­deln.

Einheitliche Angelegenheit auch bei nicht verbundenen Unternehmen oder Personen

Dass jeder Adressat letztendlich ein eigenes (wenn auch im Vergleich zu den Parallel­ab­mah­nun­gen nahezu inhaltsgleiches) Abmahnschreiben erhält, schließt den verfahrens­recht­li­chen Zusammenhang nicht aus. Ein solches hatte der BGH im Jahr 2010 bereits für nahezu gleich­lau­tende Abmahnungen in einem presserechtlichen Fall entschieden. Dort waren Ab­mahn­schreiben ergangen sowohl gegenüber den Verantwortlichen eines Printproduktes und jenen für die Verbreitung der Berichterstattung im Internet.

In seinen beiden aktuellen Urteilen hat der BGH diese Maßgaben nun erstmalig auf das Urheber­recht an­ge­wandt und ergänzt. Für die Beurteilung einer einheitlichen (urheber­recht­lichen) An­ge­legen­heit bei Mehrfachabmahnungen ist obendrein nicht von Bedeutung:

  1. eine etwaige wirt­schaft­liche oder rechtliche Verbundenheit der abgemahnten Unter­neh­men,

  2. auf welcher Vertriebsstufe sich das abgemahnte Un­ter­neh­men befindet (= Groß bzw. Zwischenhandel oder Vertrieb gegenüber dem Endkunden, Einzelhandel),

  3. unterschiedliche Sitze der abgemahnten Unternehmen, auch wenn diese im Falle von Klagen zu unterschiedlichen Gerichtsständen führen könnten.

Fazit und Tipps für die Praxis

Elf Abmahnungen, einmal Abmahnkosten. Oder: Gebührenrechtlich „eine Angelegenheit“, auch wenn die anwaltliche Arbeit mehrere Gegen­stän­de erfasst haben mag – so die Quintessenz. Eine für Unternehmen erfreuliche letztinstanzliche Klarstellung mit weit­rei­chenden Folgen für die Praxis.

Ihr Unternehmen hat eine Abmahnung erhalten? Hier eine hinsichtlich der Abmahnkosten mög­li­che Vorgehensweise:

  1. Hersteller des abgemahnten Produkts umgehend informieren – was ohnehin z.B. zur Klärung des Sachverhalts mit Blick auf die sog. modifizierte strafbewehrte Unter­las­sungs­erklärung und wegen eines etwaigen Regresses unumgänglich ist;

  2. Weitere/parallele Abmahnungen erfragen. Andere Unternehmen, die z.B. als Teil eines Vertriebs­netz­werks abgemahnt wurden, werden sich ebenfalls an den Hersteller des vertriebenen Produkts wenden. Hier bündeln sich die Informationen. Diese „Quelle“ (wie es der BGH formuliert) wird daher am ehesten über Kenntnisses verfügen, wel­cher weitere Groß-, Zwischen- oder Einzelhändler parallel abgemahnt wurde. Und vor allem: wer auf welche Abmahnung wann in welcher Höhe Ab­mahn­kosten gezahlt hat.

  3. Einwand der Erfüllung erheben. Soweit wenige Wochen vor oder nach Abmahnung Ihres Hauses wegen einer parallelen Abmahnung durch ein anderes Unterneh­men be­reits Abmahnkosten gezahlt worden sind, lässt sich der Einwand der Erfüllung er­he­ben, § 362 Abs.1 BGB. 

  4. Rückforderung bei Mehrfachzahlungen. Haben Sie auf eine „Kostenberechnung“ gezahlt, obwohl bereits Abmahnkosten in derselben Angelegenheit von einem anderen Unter­neh­men beglichen worden sind? Das Gezahlte lässt sich u.a. nach den Regeln über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung zurückfordern.

Sie sind abgemahnt worden oder haben weitere Fragen? Gerne unter nennen(at)nennen.de oder per Anruf.