Was bedeutet "klimaneutral"?

Werbung mit Umweltschutzbegriffen und -zeichen unterliegt strengen Anforderungen, denn die Umweltverträglichkeit eines Produkts ist heutzutage ein wesentlicher Faktor für die Kaufentscheidung. Obendrein sind Begriffe wie "umweltfreundlich" oder "umweltschonend" unscharf, der Aufklärungsbedarf ist hoch. Unter welchen Voraussetzungen lässt sich also mit "klimaneutral" werben?

Werbung mit Umweltschutzbegriffen

Gemäß § 5 Abs.1 UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) sind irreführende geschäftliche Handlungen zu unterlassen, soweit sie geeignet sind, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er ansonsten nicht getroffen hätte. Eine Irreführung liegt vor, wenn das Verständnis, das eine Angabe bei den angesprochenen Verkehrskreisen (= Rezipientinnen und Rezipienten der Werbung) erweckt, nicht mit den tatsächlichen Verhältnissen übereinstimmt. Dies gilt z.B. für unwahre oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über wesentliche Merkmale der Ware oder Dienstleistung.

Die Umweltfreundlichkeit ist ein solches (für die Kaufentscheidung) wesentliches Merkmal. Unter welchen Voraussetzungen ein Produkt "umweltfreundlich" oder "umweltverträglich" ist, ist allerdings unklar. Derartige "Green Claims" sind unscharf, mit ihnen werden unterschiedliche Vorstellungen und Erwartungen verbunden. Daraus folgt ein gesteigertes Aufklärungsbedürfnis über Bedeutung und Inhalt der verwendeten Umweltschutzbegriffe. Bereits seit einer Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1989 sind an die aufklärenden Hinweise grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen. Maßgeblich ist der Einzelfall je nach Art der Ware oder Dienstleistung sowie Grad und Ausmaß der angeblichen Umweltfreundlichkeit. Jede einzelne getroffene Aussage muss erkennen lassen, welcher Umweltvorzug herausgestellt werden soll, um die Gefahr einer Irreführung durch die Unschärfe der Begrifflichkeit auszuschließen. Fehlen die gebotenen aufklärenden Hinweise in der Werbung oder sind sie nicht deutlich sichtbar herausgestellt, besteht Täuschungsgefahr.

"klimaneutral"

Gelten diese Maßgaben auch für die Angabe "klimaneutral"? 

Nach Ansicht des OLG Schleswig enthält der Begriff der Klimaneutralität, anders als der unscharfe Begriff der Umweltfreundlichkeit, eine klare und auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfbare Aussage. Entsprechend der DIN EN ISO 14021, die Anforderungen an umweltbezogene Anbietererklärungen regelt, sei gemeint, dass der Carbon Footprint bei einem Produkt null oder ausgeglichen worden sei. "Neutralität" umfasse beides, nämlich:

  1. eine Produktion ohne jeden CO2-Ausstoß (CO2-ausstoßfreie Produktionskette, Vermeidung von Emissionen im Herstellungsprozess) sowie

  2. einen in gewissem Umfang unvermeidlichen CO2-Ausstoß, der aber kompensiert werden muss, z.B. durch Emissionszertifikate (Ausgleich des klimaschädlichen CO2-Fußabdrucks, "Klimaneutralität" unter Berücksichtigung von Kompensationsleistungen).

Danach bekunde "Neutralität" also nur das Versprechen einer wie auch immer ausgeglichenen Emissionsbilanz - nach dem Motto: Das Ergebnis zählt, Hauptsache am Ende steht eine Null. Auf Art und Weise, wie die ausgeglichene Bilanz letztendlich erreicht wird, komme es nicht an, daher könne der Begriff "klimaneutral" auch keine diesbezüglichen Fehlvorstellungen herbeiführen.

Konkrete Beurteilung für jeden Einzelfall

Lassen sich die Erwägungen des OLG Schleswig somit auf jegliche Werbung mit der Klimaneutralität anwenden?

Im Sinne der eingangs benannten BGH-Enscheidung ergeben sich die (strengen) Anforderungen stets für den konkreten Einzelfall je nach Art des Produktes sowie Grad und Ausmaß seiner angeblichen Umwelt- bzw. hier: Klimafreundlichkeit. Maßgeblich ist die Sicht der durchschnittlichen Verbraucherin, des durchschnittlichen Verbrauchers. So wird man etwa bei "klimaneutralen" Müllbeuteln kaum davon ausgehen können, dass diese ohne jeden CO2-Ausstoß hergestellt werden können. Entsprechendes gilt für Produktion und Vertrieb von Fleischprodukten, so LG Oldenburg. Andererseits gibt es auch Fälle, in denen der Geschäftsverkehr eine (zumindest weitgehend erreichte) CO2-Null bereits für die Produktherstellung erwartet. Ein solches würde z.B. gelten bei vor Ort (ohne Lieferkette/Transportwege) produziertem Obst oder Gemüse, verpackungsfrei angeboten im Erzeuger- bzw. Hofverkauf.

Die maßgebliche Einzelfallbewertung aus Sicht eines Durchschnittsrezpienten und ein für den Begriff der Klimaneutralität (noch) fehlendes BGH-Urteil machen die Beurteilung in der Praxis, ab wann die Grenzen zum Greenwashing (Irreführung) überschritten sind, nicht einfacher.

Vorschlag der EU-Kommission

Das Ziel, Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit von klimabezogenen Aussagen zu gewährleisten, verfolgt auch der Vorschlag der EU-Kommission für eine EU-Richtlinie vom 30. März 2022. Der Vorschlag betrifft allgemeine Umweltaussagen wie "umweltfreundlich", "umweltschonend", "öko", "grün", "naturfreundlich", "ökologisch", "energieeffizient", "biologisch abbaubar" - aber auch "klimaneutral", "klimafreundlich", "CO2-neutral", "CO2-freundlich" und "CO2-positiv". Auf dessen Grundlage wären derartige Aussagen nur noch erlaubt, wenn:

  1. eine hervorragende Umweltleistung nachgewiesen wird (Nachweispflicht). Angegeben werden dürften nur objektive und überprüfbare Verpflichtungen und Ziele, deren Erfüllung durch ein unabhängiges Überwachungssystem kontrolliert wird und

  2. eine Spezifizierung der Umweltaussage (= genauere Eingrenzung) erfolgt, und zwar klar und hervorgehoben auf demselben Werbemedium (Informationspflicht), z.B. im konkreten Fernseh- oder Radiowerbespot, auf der Produktverpackung oder der Online-Verkaufsoberfläche. Danach wären z.B. allgemeine Aussagen wie "biologisch abbaubar" genauer zu fassen z.B. so: "Verpackung bei Eigenkompostierung innerhalb eines Monat biologisch abbaubar".

Ausblick für die Praxis

Ob der Vorschlag der EU-Kommission zu einer Richtlinie erwächst, bleibt abzuwarten. Sollte dem so sein, würden deren Vorgaben 18 Monate später in das nationale Recht der 27 EU-Staaten umgesetzt und nach weiteren sechs Monaten in der werblichen Praxis einzuhalten sein. Letztendlich blieben aber auch dann stets die konkreten Umstände des Einzefalles maßgeblich.

Eine Aussage wie "Erster klimaneutraler Lebensmitteleinzelhändler ..." (Foto), die sogar eine Spitzenstellung ("Erster ...") zur Klimaneutralität des Gesamtbetriebs ("... ...händler") behauptet, dürfte jedenfalls auch zukünftig nur unter hohen Anforderungen zulässig sein. Wie weit eine Spezifizierung zu erfolgen hat (Aufschlüsselung des CO2-Fußabdrucks für jedes von 10.000 Produkten?) und welche Informationen bereits auf dem Werbemedium zu enthalten sein müssen (Verweise in TV- oder Radiospots auf Informationen auf einer Website?), ist offen.

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