Künstlerische Freiheit: Auftritt misslungen – mit welchen Folgen?

Als wäre es nicht schon Schmach genug, als Comedian ausgebuht zu werden. Oder als Darsteller einer Theateraufführung auf ein Publikum herabzublicken, das kopfschüttelnd den Saal verlässt. Obendrein verlangen Besucher Erstattung des Eintrittspreises, der Veranstalter droht mit Rückzahlung der Gage. Zu Recht?

Maßgeblich ist, welche Beschaffenheit die künstlerische Leistung aufweisen muss. Eine alte BGH-Entscheidung liefert insoweit eine Vorlage, die in der Rechtsprechung immer noch Anwendung findet. Danach gilt Folgendes:

  1. Der Künstler genießt im Rahmen des Vertrages eine Gestaltungsfreiheit, die seiner künstlerischen Eigenart entspricht. Es ist ihm erlaubt, in seinem Werk seiner individuellen Schöpferkraft und seinem Schöpferwillen Ausdruck zu verleihen.
  2. Die künstlerische Gestaltungsfreiheit birgt ein Risiko für den Besteller. Wer einen Künstler engagiert, muss sich vorher über dessen künstlerische Eigenarten und Auffassungen informieren. Ob das erbrachte Werk letztendlich tatsächlich den Geschmack des Bestellers trifft, ist unerheblich. Auch hier gilt: „Über Geschmack lässt sich nicht streiten“ – jedenfalls nicht im Nachhinein.
  3. Durch eine Absprache lässt sich die Gestaltungsfreiheit des Künstlers beschränken. Aber auch in diesem – engeren Rahmen – verbleiben künstlerische Freiräume; es besteht keine Verpflichtung zu „maßstabgetreuer“ Umsetzung.

Wie diese Maßstäbe in der Praxis Anwendung finden, zeigen folgende Beispiele:

Rücktritt vom Theaterbesuchsvertrag? „Viel Lärm um Nichts“

Im Jahr 2008 hatte das Amtsgericht Hamburg über die Rückerstattung der Kosten für Theatertickets von je € 30,00 zu entscheiden. Auf dem Programm stand das Theaterstück „Viel Lärm um Nichts“ von William Shakespeare, inszeniert von David Bösch. Wer eine wort- und werkgetreue Komödie um Liebe und Intrigen erwartete, war enttäuscht. Zu Beginn der Vorstellung brausten die Schauspieler auf lärmenden und rauchenden Mofas auf die Bühne. Abweichungen von der Vorlage durchzogen die gesamte Aufführung, so auch das tragische Ende (Tod eines Protagonisten) anstelle eines von Shakespeare vorgesehenen Happy Ends (fröhliche Doppelhochzeit).

Das Gericht verwehrte die Rückerstattung der Kosten für die Theatertickets. Das heute in Deutschland übliche Regietheater sei in aller Regel durch einen stark interpretatorischen Zugriff auf die Theatervorlage gekennzeichnet (vgl. oben 1.: künstlerische Freiheit). Aufführungen, die sich eins zu eins an die Stückvorlage hielten, seien die Ausnahme. Wer dennoch eine ausnahmsweise vorlagengetreue Inszenierung besuchen will, müsse durch Erkundigungen im Vorfeld eigens sicherstellen, dass es sich um einen solchen Ausnahmefall handelt (vgl. oben 2.: Risiko des Bestellers).

Auch das Amtsgericht Bonn vertrat bereits zuvor, im Jahr 1982, dieselbe Ansicht. Das heutige Regieverständnis für Klassiker decke selbst umfunktionierte Theateraufführungen. Ein Anspruch auf Rückzahlung des Eintrittspreises bestehe nicht.

Aufgrund dieser Rechtsprechung kann sich der enttäuschte Besucher zwar beschweren. Eine Rückforderung des bezahlten Eintrittspreises kann er, sofern die Vorstellung stattgefunden hat und nicht frühzeitig abgebrochen wurde, zumeist nicht beanspruchen.

Hat der Veranstalter als Vertragspartner des Künstlers weitergehende Rechte? Droht eine (teilweise) Rückzahlung der Gage?

Veranstaltungsvertrag bzw. Managementvertrag und künstlerische Freiheit

Überschriften für die Verträge, die eine Auftrittsverpflichtung des Künstlers gegenüber dem Veranstalter regeln, gibt es viele. Neben der Bezeichnung Veranstaltungsvertrag finden sich in der Praxis weitere wie Aufführungsvertrag, Gastspielvertrag, Konzertvertrag, Engagementvertrag, Auftrittsvereinbarung oder Honorar- oder Gagenvereinbarung. Unabhängig von der jeweiligen Bezeichnung ist der Künstler stets an Abreden über Auftrittsort und -termin sowie die vereinbarte Dauer des Auftritts gebunden. Hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung kann er sich aber gegenüber seinem Vertragspartner auf die beschriebene künstlerische Freiheit berufen. Dieser Grundsatz findet bei allen Verträgen mit kreativ oder künstlerisch tätigen Vertragspartnern Anwendung, auch z. B. bei der Bestellung eines Werkes auf der Grundlage eines sog. Bestellvertrages. So betont OLG Hamm im Zusammenhang mit der Erstellung einer modernen und jugendgerechten Bearbeitung der Mozartoper „Cosi fan tutte“, dass der Theaterleitung kein Letztentscheidungsrecht zustehe, über die endgültige Fassung des Werkes entscheiden zu dürfen.

Auch das Management eines Künstlers hat dessen künstlerische Freiheit zu beachten. Eine Regelung in einem Managementvertrag, aufgrund derer sämtliche geschäftlichen Kontakte und Verhandlungen des Künstlers und dessen künstlerisches Werk betreffend nur durch den Manager geführt werden, ist rechtswidrig und damit unwirksam. Entscheidungen über kreative, genuin künstlerische Fragen dürfen nicht von der (alleinigen) Verhandlungsbefugnis des Managers umfasst sein, so LG Köln in einem aktuellen Urteil.

Grenzen der künstlerischen Freiheit

Nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. oben 3.) verbleiben dem Künstler selbst bei Festlegungen seiner Arbeit noch (weite) Spielräume. Im höchstrichterlichen Urteil hatte der Künstler einen Entwurf eines Kirchenfensters vorgelegt und so seine Gestaltungsfreiheit begrenzt. Dennoch war der Künstler nicht „sklavisch“ an seinen Entwurf gebunden. Sein Werk brauchte nur im Wesentlichen auch dem Entwurf zu entsprechen. Hieraus folgt für die Kreativen:

Wer etwa Kabarett und Comedy im Internet anbietet und einen Ausschnitt aus seinem Programm beschreibt oder als Stream zeigt, gibt seinem Auftritt einen Rahmen. Eine solche Vorgabe ist (im Wesentlichen) einzuhalten wie etwa eine Ankündigung „Klassische Aufführung“.

Genehmigter Entwurf, Teilabnahme

Bei den bereits erwähnten Bestellverträgen werden zur Eingrenzung der künstlerischen Freiheit in der Praxis nicht selten Teilabnahmen vereinbart. Als Beispiel mag ein Fall des Kammergerichts Berlin dienen: Ein Regisseur verpflichtet sich, einen Dokumentarfilm nach einem vom Auftraggeber genehmigten (abgenommenen) Entwurf herzustellen. Der Entwurf dient als Basis für die weiteren Arbeiten des Regisseurs, dieser wird insoweit – zulässig – in seiner Gestaltungsfreiheit beschränkt. Ohne eine solche vereinbarte Teilabnahme stellt die Rechtsprechung an den Nachweis der Mangelhaftigkeit eines hergestellten Films hohe Anforderungen.

Künstlerische Freiheit bei Drehbuchänderungen und visueller Kommunikation

Muss ein Schauspieler Rollenänderungen hinnehmen, weil sich nach Beginn der Dreharbeiten das Drehbuch ändert? Solange der Rollenkern unberührt bleibt, grundsätzlich ja – hierbei verbleibt natürlich die künstlerische Freiheit zur Interpretation der geänderten Rolle. Bitte lesen Sie den Artikel Der Schauspieler und seine Rolle – welche Änderungen sind zulässig?

Auch Designern und Werbeagenturen stehen bei der gestalterischen Umsetzung Freiheiten zu, die ihrem Stil visueller Kommunikation entsprechen. Näheres im Artikel Werbung wirkt – wirkt Werbung?

BGH, Urt. v. 24. Januar 1956 – VI ZR 147/54, BGHZ 19, 382 ff. – Kirchenfenster; AG Hamburg, Urt. v. 15. April 2008 – 4 C 370/07, Rücktritt vom Theaterbesuchsvertrag, §§ 634 Nr.3 i.V.m. 323 I S.1, 326 Abs.5 BGB, § 633 Abs.2 Nr.2 BGB (Sachmangel); AG Bonn, Urt. v. 16. Dezember 1982 – 11 C 191/82, zustimmend Fessmann NJW 1983, 1164 ff., dagegen Knothe NJW 1984, 1074 ff.; LG Köln, Urt. v. 31. Oktober 2008 – 8 O 256/06, OLG Hamm, Urt. v. 4. Dezember 2007 – 4 U 125/07, jeweils unter www.nrwe.de; KG Berlin, Urt. v. 18. März 1999 – 12 U 2557/96; Art. 5 Abs. 3 GG.