Die Website als Marketinginstrument bietet der Zielgruppe sorgsam aufbereitete und regelmäßig aktualisierte Inhalte. Recherche geeigneter Informationen (z. B. in Urteilen oder Pressemitteilungen), Zusammenstellen wesentlicher Aspekte der aufgegriffenen Thematik und Schreiben des Beitrags mit individueller Schwerpunktsetzung kosten Zeit. Umso ärgerlicher für den Fleißigen, wenn dargebotene Inhalte einfach übernommen werden.
Unter welchen Voraussetzungen sind fachliche Inhalte einer anwaltlichen Website geschützt?
Die „kleine Münze“
In einem aktuellen Beschluss setzt das OLG Köln die Schutzanforderungen niedrig. Es führt aus, die zwei übernommenen Leitsätze (von gerichtlichen Entscheidungen) verfügten zwar über eine nur geringe, aber dennoch ausreichende Schöpfungshöhe. Damit stellt das Gericht ab auf die unterste Grenze der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit. Erforderlich ist hiernach lediglich ein geringer Grad individuellen Schaffens, eine geringe Gestaltungshöhe reicht. Dieser großzügige Maßstab der sogenannten „kleinen Münze“ gilt nach allgemeiner Meinung zunächst bei literarischen Schriftwerken.
Gilt die „kleine Münze“ aber auch bei Fachinformationen und -texten von Anwälten?
Die „kleine Münze“ bei anwaltlichen Texten
LG Hamburg legt die „kleine Münze“ für eine im Internet veröffentlichte Pressemitteilung eines anwaltlichen Informationsdienstes zum Bank- und Kapitalmarktrecht zugrunde. Die Nutzung der Pressemitteilung auf der Internet-Seite einer Mitbewerber-Kanzlei greife in die urheberrechtlichen Verwertungsrechte des Werkschöpfers. LG Berlin bejaht ein Urheberrecht an einem im Internet veröffentlichten Host-Providing-Vertrag. Zu hohe Anforderungen an die schöpferische Leistung seien nicht zu stellen, da anderenfalls der Schutz von Gebrauchstexten leer liefe. LG Düsseldorf fordert für journalistisch aufbereitete Meldungen eines Wirtschaftsunternehmens eine schöpferische Eigenheit gleich welchen Grades. LG München bejaht Urheberrechtsschutz für einen Biogas-Fonds-Prospekt (Gebrauchs- bzw. Werbetext). Die z. T. komplexen technischen Sachverhalte und die Beschreibung der Geldanlage seien kurz, prägnant, sachlich, in verständlicher Sprache und in überlegt strukturierter und übersichtlicher Darstellung für den Laien anschaulich aufbereitet. Die notwendige Schöpfungshöhe sei erreicht – unter Zugrundelegung der „kleinen Münze“.
Höhere Anforderungen an die Entstehung eines Urheberrechts
Anderen Gerichten reicht die „kleine Münze“ hingegen nicht. LG Stuttgart verneint ein Urheberrecht bei einem Mustervertrag zur Vermittlung von polnischen Pflegekräften an deutsche Senioren. Bei nicht-literarischen Sprachwerken sei weder die alltägliche, handwerklich saubere Gestaltung noch die darüber hinausgehende, besonders gelungene Schöpfung geschützt. Auch gut durchdachte, strukturiert aufgebaute und stilistisch gelungene Vertragswerke genössen keinen Urheberschutz. Die Schutzuntergrenze beginne vielmehr erst, wenn der Vertrag aus der Reihe der vergleichbaren Verträge weit hervorsteche. Das Gericht zitiert zudem einen Beschluss des OLG Stuttgart. Danach reiche bei Schriftwerken, die einem praktischen Gebrauchszweck dienen, nicht das bloße Überragen des rein Handwerklichen und Alltäglichen. Die untere Grenze der Urheberrechtsfähigkeit beginne vielmehr erst bei einem erheblichen Abstand. OLG München verneint die Werkqualität eines presserechtlichen Warnschreibens. Der Urheberrechtsschutz für ein solches Schriftwerk aus dem (rechts-) wissenschaftlichen Bereich erfordere ein deutliches Überragen des Alltäglichen, des Handwerksmäßigen, der mechanisch-technischen Aneinanderreihung des Materials.
Zur Begründung dieser hohen Schutzanforderungen berufen sich die Instanzgerichte etwa auf ältere Entscheidungen des BGH. Darin wird ausgeführt, dass sich bei wissenschaftlichen oder technischen Werken der erforderliche geistig-schöpferische Gehalt in erster Linie in der Form und Art der Sammlung, Einteilung und Anordnung des dargebotenen Stoffes offenbare. Zugleich verlangt der BGH aber eine deutlich überragende individuelle Eigenart der Textgestaltungen.
Welcher Maßstab gilt?
Zur urheberrechtlichen Beurteilung von anwaltlichen Website-Inhalten sind die alten BGH-Entscheidungen nicht zugrunde zu legen. Maßgeblich ist insoweit vielmehr ein höchstrichterliches Urteil aus dem Jahre 2002 mit dem Titel „Technische Lieferbedingungen“. Danach kann die schöpferische Leistung nicht nur in der Art der Sammlung, Auswahl, Einteilung und Anordnung des Stoffes liegen, sondern auch in der sprachlichen Vermittlung eines komplexen Sachverhalts. Ins Gewicht fallen daher (entgegen LG Stuttgart) auch Ausdrucksvermögen und Klarheit der sprachlichen Form. Ein deutliches Überragen alltäglicher sprachlicher Formgestaltung verlangt der BGH nicht (mehr). Soll heißen: Es gilt die „kleine Münze“.
Ein plausibler Grund für eine Einschränkung des Urheberrechtsschutzes mittels höherer Anforderungen besteht nicht. Vergleichbare Erwägungen wie im Bereich der angewandten Kunst lassen sich nicht anführen. Dort wird unter Berufung auf den geschmacksmusterrechtlichen Unterbau eine deutlich überragende Gestaltungsleistung zur Begründung des Urheberrechts verlangt. Weitere Informationen finden sich im Beitrag Urheberrechte an Computeranimationen und -grafiken.
Keine Monopolisierung
Auch eine Monopolisierung von Sprachgestaltungen ist durch Anwendung der „kleinen Münze“ nicht zu befürchten. Hinter dem Werk stehende (innovative) Ideen, Fakten und Geschehnisse sind von vornherein als Gemeingut frei, ebenso verarbeitete wissenschaftliche Erkenntnisse, Lehren und Theorien. Textaufbau und -gestaltung liegen nur im Bereich des Alltäglichen und Handwerklichen, soweit sie durch Üblichkeit, Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit bestimmt oder durch die der Thematik innewohnende Sachlogik vorgegeben sind. Nicht geschützt sind auch Fachbegriffe, typische Ausdrucksweisen und Formulierungen. Wenngleich diese Vorgaben den textlichen Gestaltungsspielraum (im Vergleich zu den literarischen Schriftwerken) einschränken, verbleiben mannigfaltige Möglichkeiten zu sprachlich-schöpferischer Formgebung. Diese kreativen Leistungen gilt es mit der BGH-Entscheidung „Technische Lieferbedingungen“ durch ein Urheberrecht zu schützen.
Finger weg von fremden Inhalten
Die durch das OLG Köln jüngst entschiedene Angelegenheit eines Hamburger Kollegen ist kein Einzelfall. Auch der Autor bietet unter www.nennen.de seit Oktober 2007 in wöchentlicher Folge Beiträge aus Medien, Wirtschaft und Recht. Auch er fand seine Artikel oder wesentliche Teile daraus bereits mehrmals auf den Websites von Anwaltskollegen vor. Anrufe bei den Kollegen offenbarten schlichtweg fehlende Kenntnisse des Urheberrechts („... als Sachinfos nicht geschützt ...“) oder wenig ausgeprägtes Unrechtsbewusstsein („... ist doch ohnehin im Netz verfügbar ...“). Ein Copy & Paste von Inhalten ist dabei nicht nur respektlos gegenüber der fremden geistigen Schöpfung. Die Selbstbedienung kann zudem dazu führen, dass Google doppelten Content im Netz abstraft. Also: Finger weg von fremden geistigen Leistungen!
Der Beitrag ist (abgeändert) veröffentlicht in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht (ZUM), Seiten 244 f.; OLG Köln, Beschl. v. 28. August 2008 – 6 W 110/08, unter www.nrwe.de; LG Hamburg, Urt. v. 31. Januar 2007 – 308 O 793/06, ZUM 2007, 871; LG Berlin, Urt. v. 4. August 2005 – 16 O 83/05, ZUM 2005, 842; LG Düsseldorf, Urt. v. 25. April 2007 – 12 O 194/06, ZUM-RD 2007, 367; LG München, Urt. v. 21. Februar 2007 – 21 O 6894/06, ZUM-RD 2007, 435; LG Stuttgart, Beschl. v. 6. März 2008 – 17 O 68/08, ZUM-RD 2008, 501 m.w.N.; OLG Stuttgart, Beschl. v. 7. Februar 2008 – 4 U 221/07; OLG München, Beschl. v. 16. Oktober 2007 – 29 W 2325/07, NJW 2008, 768; BGH, Urt. v. 17. April 1986 – I ZR 213/83, NJW 1987, 1332 – Anwaltsschriftsatz; BGH, Urt. v. 29. März 1984 – I ZR 32/82, MDR 1984, 1001 – Ausschreibungsunterlagen; BGH, Urt. v. 11. April 2002 – I ZR 231/99, NJW-RR 2002, 1568 – Technische Lieferbedingungen; zu den Anforderungen im Bereich der Angewandten Kunst vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 26. Januar 2005 – 1 BvR 1571/02, ZUM 2005, 387 – Laufendes Auge und (die falsche Entscheidung) OLG Thüringen, Urt. v. 8. Mai – 2 U 76/01, ZUM 2003, 59 mit kritischer Anmerkung von Nennen.