„Baader Meinhof Komplex“: keine einstweilige Verfügung gegen Sex in Film und Buch

Die Anfang 2007 nach 24 Jahren aus der Haft entlassene Ex-RAF-Terroristin Brigitte Mohnhaupt (59) sei vor dem Landgericht Hamburg gegen Filmproduktion und Verlag gescheitert. Mohnhaupt habe die Entfernung von Sexszenen und -dialog aus Film und Buch verlangt – vergeblich, wie Spiegel und Bild-Zeitung berichten.

Nach den Ausführungen der Bild-Zeitung ging es um folgenden Dialog: Mohnhaupt (im Film gespielt von Nadja Uhl) sagt: „Fast fünf Jahre Knast“. Ex-Terrorist Peter-Jürgen Boock (gespielt von Vinzenz Kiefer): „Ist `ne lange Zeit.“ Sie: „So lang habe ich mit keinem Mann gefickt.“ Constantin Film weigerte sich unter Berufung auf die Kunstfreiheit, die Bernd-Eichinger-Produktion zu ändern. Der Hoffmann-und-Campe-Verlag sah hinsichtlich des Filmbuchs ebenfalls keine Veranlassung zu Streichungen. Zu Recht, so das Gericht.

Kunstfreiheit

Was ist Kunstfreiheit? Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei, so steht es im Grundgesetz. Genaueres ergibt sich aus dem Mitte 2007 gefassten „Esra“-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts. Danach gewährt die Kunstfreiheit auch das Recht zur Verwendung von Vorbildern aus der Lebenswirklichkeit. Ein Roman, wie z. B. „Esra“ von Maxim Biller, kann auch bei Schilderung real existierender Personen ein Kunstwerk sein. „Kunst“ ergibt sich hier aus dem Anspruch des Autors, diese Wirklichkeit künstlerisch zu gestalten.

Schranke: Allgemeines Persönlichkeitsrecht

Die Kunstfreiheit wird jedoch nicht schrankenlos gewährleistet. Grenzen für künstlerische Darstellungen ergeben sich unmittelbar aus anderen Bestimmungen des Grundgesetzes. Hierzu gehört insbesondere das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Person(en).

Um die Grenzen im konkreten Fall zu bestimmen, genügt es jedoch nicht, eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts festzustellen. Es bedarf vielmehr der Klärung, ob die Beeinträchtigung derart schwerwiegend ist, dass die Freiheit der Kunst zurückzutreten hat.

Schwere der Beeinträchtigung: Kunstspezifische Betrachtung

Die Schwere der Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist durch eine kunstspezifische Betrachtung festzustellen, so das Bundesverfassungsgericht. Soll heißen?

  1. Ein literarisches Werk, das als Roman bezeichnet ist, ist zunächst einmal als Fiktion anzusehen, das keinen Anspruch auf Korrektheit der Tatsachen (Faktizitätsanspruch) erhebt. Diese Vermutung gilt auch, wenn hinter den Romanfiguren reale Personen stehen.
  2. Maßgeblich ist im Übrigen der Wirklichkeitsbezug des jeweiligen Handlungszusammenhanges, wie er dem (Roman-) Leser oder dem (Theater- bzw. Film-) Zuschauer nahe gelegt wird. Also: Nimmt der Leser bzw. Zuschauer an, die beschriebene oder dargestellte Szene habe sich (genau) so abgespielt? Oder erkennt er die Fiktion, die „ästhetische Realität“ des Autors?
  3. Zwischen dem Maß, in dem der Autor eine von der Wirklichkeit losgelöste „ästhetische (künstlerische) Realität“ schafft, und der Intensität der Verletzung des Persönlichkeitsrechts besteht eine Wechselbeziehung. Hieraus folgt:
  4. Je stärker Abbild und reales „Vorbild“ übereinstimmen, desto schwerer wiegt die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts.
  5. Je stärker die künstlerische Darstellung die besonders geschützten Dimensionen des Persönlichkeitsrechts (etwa die Intimsphäre) berührt, desto stärker muss die Fiktionalisierung sein, um eine Persönlichkeitsrechtsverletzung auszuschließen.

    Kunstfreiheit im „Baader Meinhof Komplex“

    Dialoge und Szenen wie eingangs beschrieben betreffen zwar eine besonders geschützte Dimension des Persönlichkeitsrechts, nämlich die Intimsphäre (Sexualität). Allerdings stellt sich für den Zuschauer nicht die Frage, ob die geschilderten Handlungen als Berichte über tatsächliche Ereignisse zu verstehen sind. In Film und Buch wird nicht suggeriert, dass es sich um eine z. B. durch Abhörmaßnahmen unmittelbar aufgezeichnete, realistische und detaillierte Wiedergabe entsprechender Geschehnisse und die genaue Schilderung intimster Details einer Frau handele. Zuschauer bzw. Leser erkennen die Fiktionalisierung, die durch die Kunstfreiheit geschützt ist.

    Art. 5 Abs.3 GG (Kunstfreiheit)BVerfG, Beschl. v. 13. Juni 2007 – 1 BvR 1783/05 – „Esra“; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 12. Dezember 2007 – 1 BvR 350/02 – „Pestalozzis Erben“ (autobiographischer Roman) und BVerfG, Beschl. v. 19. Dezember 2007 – 1 BvR 1533/07 – „Ehrensache“ (Theaterstück mit „Hagener Mädchenmord-Fall“ als Vorlage) jeweils unter www.bundesverfassungsgericht.de. Vgl. auch den Artikel „No sex, please, we are RAF“, Süddeutsche, 8. Dezember 2008.