Kunstfreiheit ermöglicht Sampling – was ist jetzt erlaubt!?

Eine Nutzung von Tonaufnahmen zu Zwecken des Sampling kann nunmehr auch ohne vorherige Lizenzierung zulässig sein. In einem wegweisenden Urteil betont das Bundesverfassungsgericht die Kunstfreiheit und hebt die engen Vorgaben des Bundesgerichtshofs in den Verfahren „Metall auf Metall“ auf – mit neuen Möglichkeiten für Musikproduzenten!

In zwei Urteilen hatte der BGH zuvor die Leistungsschutzrechte der Tonträgerhersteller heraus­gestellt. Das Tonträger­her­stel­ler­recht schütze die wirtschaftliche, organisatorische und tech­ni­sche Leistung, Tonmaterial erstmalig auf einen Tonträger aufzuzeichnen. Diese Leistung sei für den gesamten Tonträger zu erbringen. Daher gebe es keinen Teil des Tonträgers, auf den nicht ein Teil des Aufwands entfiele. Selbst kleinste Tonschnipsel, digitale Partikel, Tonfetzen, seien zugunsten des Tonträgerherstellers geschützt.

Zuvor (BGH): Sample-Clearance als Grundsatz

Die Folge daraus: Ein grundsätzliches Er­for­der­nis, eine Lizenz einzuholen, die sog. Sample-Clearance. Moses Pelham hätte die nur ca. zwei Sekunden lange Rhythmussequenz aus dem Kraftwerk-Song „Metall auf Metall“ nicht ohne eine Rechteklärung als Loop für seinen Sabrina-Setlur-Song „Nur mir“ neh­men dürfen. Ausnahmen von dem grundsätzlichen Lizenzerfordernis gab es nach Ansicht des BGH nur eng begrenzt: Lediglich bei komplexen, einzigartigen Samples, besonders hoch­wer­tigen und außergewöhnlichen Sounds bestehe quasi ein „Notstand“ zur freien (Sample-) Be­nut­zung. Was ein durchschnittlich aus­ge­stat­teter und befähigter Musik­pro­duzent  selber herstellen könne, falle jedoch nicht unter diese Ausnahme.

Sample (hier in Logic X) übernehmen oder nachmachen? Weitere Einzelheiten dazu im Artikel Tonträger-Sampling – was ist überhaupt noch erlaubt? Mein damaliges Fazit: Selber machen!

Nunmehr (BVerfG): Künstlerisches Schaffen ohne Sample-Clearance möglich

In seinem aktuellen Urteil betont auch das Bundesverfassungsgericht (insoweit wie der BGH), dass Entnahmen schon kleinster Teile eines Tonträgers als Eingriff in das Tonträger­her­stel­lerrecht zu bewerten sind.

Aber: Dieser Eingriff kann durch die Kunstfreiheit gerechtfertigt sein. Sampling zu ton­ge­stal­ten­den Zwecken fällt unter die künstlerische Betätigungsfreiheit von Mu­sik­schaffenden. Das grundsätzliche Erfordernis „Samplelizenzierung oder Selber machen!“ (so noch der BGH) schränkt künst­lerische Betätigungsfreiheit und kulturelle Fort­entwicklung unzulässig ein. Dies gilt auch angesichts der Existenz von Sample­daten­ban­ken zum Erwerb von Lizenzen sowie von Dienstleistern, die Musikschaffende beim Sample­clearing unterstützen. So ist bereits fraglich, ob das entsprechende Sample in der Datenbank überhaupt bereitgehalten wird, dessen Nutzung wäre zudem ggf. mit Rechercheaufwand und Kosten verbunden. Durch diese Erschwernisse würde die Schaffung neuer Kunstwerke verhindert. Gerade der direkte Zugriff auf das Original, ohne die Klänge erst nachspielen zu müssen, ist aber wesentliches Element vieler Schaffensprozesse (ähnlich derer von Collagen) – und für verschiedene Musik­sti­le, wie z.B. Hip-Hop, stilprägend.

Aus diesen Gründen sind Eigentumsrecht der Ton­­trägerhersteller einerseits und Kunst­freiheit andererseits als zwei gegenüberstehende gleich­­berechtigte (!) Grund­rechte abzuwägen.

Was also geht?

Je geringer

  • die Signifikanz des Samples (einzigartig, wiedererkennbar? kurz?)
  • die Bekanntheit des Ursprungssongs (Hit in den Charts? Älterer unbekannter Song?)
  • die (künstlerische) Nähe des neuen Musikwerks zum Originalsong (Remix-ähnlich? „Aufgehen“ durch künstlerische Verarbeitung in völlig neuem Song?)
  • eine hierdurch realistischerweise entstehende Konkurrenz

desto eher wird die Abwägung zugunsten des Musikschaffenden ausfallen.

Konkurrenz und nichtkünstlerische Samplenutzungen verboten

Auch auf Grundlage künstlerischen Schaffens darf der Eingriff in das fremde Tonträger­her­stel­ler­recht keineswegs zu einem erheblichen wirtschaftlichen Nachteil des Tonträgerherstellers führen. Eine Sample­nut­zung in einem kon­kur­rie­ren­den Song mit der Folge eines spürbaren Absatz­rück­gangs des Tonträger­her­stel­ler wäre durch die Kunstfreiheit nicht gedeckt. Unzulässig sind freilich auch nichtkünstlerische Nutzungen, z.B. gewerbliche An­ge­bote von (technisch bearbeiteten) Sam­p­les in einer Datenbank. Hier bleibt es bei der Lizenzierungspflicht.

Moses Pelham durfte die nur ca. zwei Sekunden lange Rhythmussequenz aus dem Kraftwerk-Song „Metall auf Metall“ (1977) als Loop für seinen Sabrina-Setlur-Song „Nur mir“ (1997, Hip-Hop) nehmen. Einen solchen nur geringfügigen Eingriff in das Tonträger­her­steller­recht hat der Rechteinhaber zur Vermeidung einer erheblichen Beeinträchtigung der künstlerischen Be­tä­ti­gungs- und Entfaltungsfreiheit hinzunehmen.

 

Der Autor war Justiziar der ZYX Music GmbH & Co. KG, damals einer der größten Ton- und Bild-/Tonträgerhersteller Europas. Er ist selbst Musiker (Keyboards) und Produzent mit Veröffentlichungen. Sie haben weitere Fragen? Gerne unter nennen(at)nennen.de oder per Anruf.

BVerfG, Urt. v. 31. Mai 2016 – 1 BvR 1585/13. Vgl. auch das Interview des Autors von November 2013 zum Thema „Samplen oder Nachmachen?“ in der Zeitschrift Kulturmanagement sowie das Radiointerview (WDR Soundfiles (WDR2)“ zum Thema Pop und Paragraphen – Rechtsstreitigkeiten im Musikbusiness. Zum Sample-Clearance vgl. den Artikel Samples in der Musikproduktion.