Kölner Stadtarchiv: Urheberrecht an Archivalien?

„Helfen Sie mit! Haben Sie Abschriften, Kopien, Mikrofilme oder sogar digitale Fotografien?“ lautet der Aufruf der Initiative „Digitales Historisches Archiv Köln“. Dürfen Reproduktionen der Archivalien aber im Internet präsentiert werden? „Nein“ meint die Leiterin des Stadtarchivs und sorgt für Empörung. Dennoch: Sie hat Recht – allerdings nicht aufgrund von Urheberrechten.

Über 65.000 Urkunden, mehr als 100.000 Karten und Pläne, 50.000 Plakate, ca. eine halbe Million Fotos und 780 Nachlässe aus mehr als 1.000 Jahren Stadtgeschichte – ein Großteil davon wurde wahrscheinlich unwiederbringlich zerstört. Angesichts dieser Katastrophe kommt ein ambitioniertes Projekt wie das von vielen Institutionen und Privatpersonen unterstützte „Digitale Historische Archiv Köln“ gerade recht. Und dann scheint sich ausgerechnet die Leiterin des Stadtarchivs Bettina-Schmidt-Czaia querzustellen:

„Viele Wissenschaftler, denen wir auf Anfrage mal Kopien unserer Archivalien zugesandt haben, stellen diese Kopien ins Internet, um sie nach der Katastrophe anderen zugänglich zu machen. Dies verletzt die Copyright-Rechte an den Dokumenten. Besser wäre es, uns diese Kopien zur Verfügung zu stellen.“

Empörung

Im Internet ist mittlerweile eine erregte Diskussion über diese Äußerung entbrannt – auch hinsichtlich der Frage, ob der Stadtarchiv-Chefin denn überhaupt Rechte zustünden. Ihre Äußerungen seien sachlich falsch. Das deutsche Recht kenne kein Copyright, und erst recht kein „Copyright-Recht“, sondern nur ein Urheberrecht. Dem Archiv und seiner Leiterin seien die Grundsätze des Urheberrechts offenbar nicht bekannt.

Wie ist es also? Lassen sich Reproduktionen von Archivalien ohne weiteres online stellen? Oder stehen der Leiterin des Stadtarchivs Rechte zu, aufgrund derer sie Unterlassung verlangen kann?

Urheberrechte erloschen

Das Urheberrecht gewährt zwar einen Unterlassungsanspruch gegen eine Veröffentlichung im Internet, die sog. öffentliche Zugänglichmachung. Voraussetzung dafür ist aber das Vorliegen eines Werkes. Viele historische Dokumente würden die Anforderungen an die Entstehung eines Urheberrechts auch erfüllen. Hierzu gehören etwa Briefe, Urkunden und Bücher, Skizzen und Karten (z. B. ein „Neuer und richtiger Grundriss der Stadt Cöllen“, 1752), Siegel, Chroniken sowie (bildliche) Darstellungen. Urheberrechte etwa an einem Ratsprotokoll wären demgegenüber eher unwahrscheinlich. Vgl. insoweit auch den Beitrag Urheberrechte an Fachtexten und -informationen.

Allerdings wären Urheberrechte an den allermeisten Archivalien bereits (längst) erloschen. Das Urheberrecht erlischt siebzig Jahre nach dem Tode des Urhebers. Solche Schöpfungen sind dann gemeinfrei und jedermann zugänglich.

Keine Rechte durch das Kopieren der Archivalien

Durch das Kopieren der Original-Archivalien ist freilich kein neues Urheberrecht (zugunsten des Kopierenden bzw. Mitarbeiters des Stadtarchivs) entstanden. Erforderlich ist stets eine persönliche geistige Schöpfung, eine solche fehlt.

Allerdings regelt das Urheberrechtsgesetz auch Rechte, die keine schöpferische Leistung erfordern (sog. Leistungsschutzrechte). So kann eine wissenschaftliche Ausgabe geschützt sein, wenn sie sich wesentlich von den bisher bekannten Ausgaben von Werken oder Texten unterscheidet. Hierzu muss das Werk oder der Text unter Anwendung wissenschaftlicher Methoden aufbereitet worden sein. Eine solche Aufbereitung bejahte der BGH bei einer sichtenden, ordnenden und abwägenden Tätigkeit zur authentischen Rekonstruktion eines Strafprozesses. Das bloße Auffinden eines alten Textes oder anderen Materials in einem Archiv reicht nicht – und selbstverständlich auch nicht das Kopieren von Archivalien.

Damit bietet das Urheberrechtsgesetz keine Basis für die Äußerung von Frau Bettina-Schmidt-Czaia.

Eigentum an den Archivalien und Hausrecht

In der hitzigen Diskussion werden allerdings weitere Rechte außer Acht gelassen. Die Archivalien sind, nicht zuletzt durch 780 Nachlässe, im Eigentum der Stadt Köln. Auf dieses Eigentum kann sich die Leiterin des Stadtarchivs berufen – und sie könnte dadurch sogar die Veröffentlichung im Internet verbieten.

Zwar gibt es kein „Recht am Bild der eigenen Sache“. So werden etwa die Anfertigung von Fotografien fremder Gegenstände und deren nichtgewerbliche Veröffentlichung allgemein als grundsätzlich zulässig angesehen. Dies gilt aber für Gegenstände, die frei zugänglich sind und deren Abbildung ohne Eingriff in Hausrecht oder Privatsphäre des Eigentümers des Gegenstands möglich ist. Ein Beispiel hierfür ist ein Foto von einem Haus an einem öffentlichen Platz.

Etwa anderes gilt, wenn sich der abgebildete Gegenstand an einer für die Öffentlichkeit nicht frei zugänglichen Stelle befindet und die Herstellung der Aufnahme in legaler Weise nur mit Zustimmung des Berechtigten möglich ist. So ist es beim Fotografieren und Filmen in öffentlichen Parks und Gärten, vgl. hierzu den Beitrag. So ist es aber auch hinsichtlich der Archivalien des Kölner Stadtarchivs. Diese waren in den nur mit Erlaubnis zugänglichen Räumen des Archivs untergebracht. Soweit eine Erlaubnis zur Vervielfältigung (Fotokopie, digitales Fotos etc.) erteilt wurde, beschränkte sich diese auf eine Verwendung zur Nutzung im Rahmen der wissenschaftlichen Arbeit. Diese Einschränkung gälte auch, wenn sie nicht ausdrücklich formuliert worden wäre – und auch hinsichtlich der Zusendung von Kopien der Archivalien durch das Stadtarchiv.

Der BGH führt in einer alten Entscheidung aus, dass es das natürliche Vorrecht des Eigentümers sei, den gewerblichen Nutzen, der aus seinem nur mit seiner Erlaubnis zugänglichen Eigentum gezogen werden kann, für sich zu beanspruchen. Dies gilt nicht nur für gewerbliche Nutzungen des Eigentümers. Nicht erfasst von seiner Erlaubnis sind ebenfalls solche Nutzungen, die über nahe liegende Nutzungsformen hinausgehen. Wer weitergehende Nutzungen vornehmen möchte, muss die entsprechenden Rechte einholen.

Archivalien im Internet - Fazit

Also: Wer Kopien von Archivalien anfertigt oder erhält, darf diese für seine wissenschaftlichen Zwecke nutzen und ggf. im Rahmen einer Dissertation und eines Buchprojekts veröffentlichen (= nahe liegend). So sprach auch das OLG Köln dem Verfasser einer Doktorarbeit das Recht zu, Fotos von indonesischen Schattentheaterfiguren zu veröffentlichen. Die Bilder hatte der Doktorand in den Privaträumen des Figurensammlers mit dessen Einverständnis gefertigt.

Über die (konkreten) wissenschaftlichen Zwecke hinaus gehende Rechte sind nicht eingeräumt. Hierzu gehören auch Rechte zur öffentlichen Zugänglichmachung von Bildern des fremden Eigentums im Internet. Die Leiterin des Stadtarchivs Bettina-Schmidt-Czaia könnte die Veröffentlichungen des „Digitalen Historischen Archivs Köln“ mithin untersagen.

Unabhängig von der Rechtslage ist der Stadtarchiv-Chefin natürlich zu raten, den vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht vor den Kopf zu stoßen oder gar rechtliche Schritte einzuleiten. Nach einer Meldung des „Digitalen Historischen Archivs Köln“ vom 18. März 2009 werde die rechtliche Situation in einem Kooperationsvertrag geregelt. Man darf gespannt sein.

§ 97 Abs.1 S.1 UrhG (Unterlassungsanspruch)§ 19a UrhG (Recht der öffentlichen Zugänglichmachung); § 2 UrhG (Entstehung eines Urheberrechtes); § 64 UrhG (Erlöschen des Urheberrechtes); § 70 UrhG (Schutz von wissenschaftlichen Ausgaben); BGH, GRUR 1975, 667 – Reichswehrprozess; vgl. auch § 71 (Nachgelassene Werke): hier wird die verlegerische Leistung desjenigen geschützt, der ein bisher nicht erschienenes Werk erlaubterweise erstmals erscheinen lässt; BGH, NJW 1989, 2251 – Friesenhaus, dazu auch § 59 UrhGOLG Köln, Urt. v. 25. Februar 2003 – 15 U 138/02 via www.nrwe.de; Unterlassungsanspruch: §§ 1004, 903 BGB. Zur Nutzung von Archivgut durch Dritte vgl. auch § 7 ArchivG NRW, eine Regelung über den Umfang der im Einzelfall eingeräumten Nutzungen enthält die Bestmmung nicht.